Außenwissenschaftspolitik im Anthropozän

J. Mukherjee

Ob es der nicht mehr zu leugnende menschliche Faktor im dramatischen Klimawandel ist, ob es die menschengemachte Überfischung der Meere und Überdüngung der Böden ist, ob es die durch die nicht artgerechte Tierhaltung erzeugten Übertragungswege von Krankheitserregern wie SARS-CoV-2 vom Tier auf den Menschen sind – die Beispiele belegen das von uns Menschen bestimmte Erdzeitalter, in dem wir leben, das Anthropozän. Im Anthropozän ist der Mensch die determinierende, ja dominierende Größe für die geologische und ökologische Entwicklung unseres Planeten und damit für die Lebens- und Überlebensmöglichkeiten von allen Lebewesen, auch von uns Menschen selbst, geworden.

Die existentiellen Herausforderungen des Anthropozäns müssen in allen Politikfeldern und damit auch in der außenwissenschaftspolitischen Arbeit des DAAD Berücksichtigung finden. Die 2020er Jahre werden darüber entscheiden, ob wir auf unserem Planeten eine gedeihliche Entwicklung für uns Menschen und unsere Umwelt werden sichern können. Diesem übergeordneten Ziel muss auch unsere außenwissenschaftspolitische Arbeit als Förderorganisation, als Beratungsinstanz und als think tank dienen. Mit unserer neuen Strategie „DAAD 2025“ haben wir hierfür die Grundlagen gelegt – und ich will einige auf unserer neuen Strategie beruhende Überlegungen zu unserer künftigen Außenwissenschaftspolitik im Anthropozän skizzieren.

Unsere Arbeit wird auch weiterhin von einem kooperativen, partnerschaftlichen Miteinander mit anderen Ländern und Kulturen, ausländischen Partnerorganisationen und Einrichtungen geprägt sein. Wenn wir uns im Anthropozän als Schicksalsgemeinschaft auf diesem einen Planeten begreifen, dann müssen wir uns mit Wissenschaftlern und Studierenden aus allen Staaten, auch aus schwierigen Partnerländern, austauschen. Das mag im Einzelfall nicht immer leicht sein, ist aber unerlässlich und geschieht aus einem wertebasierten Kontext heraus.

Wir werden in Zukunft noch stärker digitale Formate für unsere Arbeit nutzen. Dies gilt für den DAAD intern ebenso wie für unsere Förderprogramme: von virtuellen Konferenzen bis zu digitalen Stipendien müssen wir konsequent prüfen, an welchen Stellen auf physische Mobilitäten, insbesondere Flugreisen, verzichtet werden kann, ohne den weltweiten wissenschaftlichen Austausch zu beschneiden – eine große Herausforderung, der wir uns stellen müssen. 

Unsere Arbeit als deutsche Organisation in Europa wird zunehmend von einem Afrikabezug geprägt sein. Afrika ist unser Nachbarkontinent, und wesentliche Problemlagen im Anthropozän betreffen Afrika und Europa als Nachbarschaftsgemeinschaft: die durch den Klimawandel bedingte Knappheit an natürlichen Ressourcen ist eine wesentliche Ursache für Fluchtbewegungen von Menschen aus Afrika nach Europa, die Zerrüttung in einer Reihe von afrikanischen Staaten führt zum Kollaps der Gesundheitsversorgung und begünstigt Epidemien und Pandemien, die demographische Entwicklung in den meisten afrikanischen Ländern resultiert in vielen jungen talentierten Menschen, denen wir gemeinsam eine Perspektive geben wollen.

Kooperativ, digital und mit Afrikabezug: bei allen drei Perspektiven können wir als DAAD an viele bisherige Erfahrungen und Erfolge anknüpfen. Daneben gilt es, dass wir in den 2020er Jahren in der Weiterentwicklung unseres Förderportfolios neben den Individualstipendien auch verstärkt thematische Schwerpunkte setzen, und zwar in denjenigen Forschungsbereichen und wissenschaftlichen Handlungsfeldern, die mit den existentiellen Herausforderungen des Anthropozäns verknüpft sind: Hierzu zähle ich die Klimaforschung, die Gesundheitsforschung und den Themenkreis der Nachhaltigkeit. Ebenso werden wir uns mit entsprechenden Förderformaten dem Konfliktmanagement widmen, denn die Konflikte werden innerhalb von Staaten und auf der internationalen Bühne weiter zunehmen, unter anderem wegen der sozialer Ungleichheiten, des Kampfs um knapper werdende natürliche Ressourcen und der möglichen weltwirtschaftlichen Konsequenzen einer Entwicklung zu einer nachhaltige(re)n Ökonomie. Vor diesem Hintergrund wird es für uns ebenfalls darauf ankommen, unseren Beitrag dazu zu leisten, Europa als Modell für einen zivilen Interessensausgleich zwischen Staaten, für friedliche Konfliktbewältigungsmechanismen und für EU-weit geltende rechtsstaatliche Standards und Freiheitsrechte zu vertreten. Von der über 30-jährigen ERASMUS-Erfolgsgeschichte bis zu den neuen europäischen Hochschulnetzwerken – wir können und werden auch zukünftig einen Beitrag dazu leisten, Europa als kooperatives Erfolgsmodell zu stärken, denn ohne diese Art der supranationalen Kooperation werden die Herausforderungen des Anthropozäns nicht zu bewältigen sein.